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Zwangsarbeit in Schleswig-Holstein am Beispiel von Rellingen und Lübeck

Vorbemerkung

Auf dem Friedhof der Rellinger Kirchengemeinde kann man auf Spuren der Zwangsarbeiter stoßen. An einer Stelle trifft man auf ein Gräberfeld mit Grabmalen, die polnische bzw. russische Namen tragen, ebenso einen Gedenkstein für 11 unbekannte russische Kriegsgefangene. 1990 sind sie wegen des Baues einer neuen Kapelle an diese Stelle umgebettet worden. Was kann man über diese Menschen erfahren? Während die 11 russischen Kriegsgefangenen 1949 im Beisein russischer Offiziere nach Rellingen überführt und dort beigesetzt wurden (Rellinger Chronik), waren die anderen Zwangsarbeiter von Anfang an hier beigesetzt worden. Die russischen Kriegsgefangenen waren nach einem Transport in Güterwagen von Lübeck kommend völlig entkräftet gestorben und in Halstenbek in einem Gebüsch neben einer Schuttgrube begraben worden (Rellinger Chronik). Auf Anordnung der Militärregierung waren nach Kriegsende Listen der auf den Friedhöfen beigesetzten Zwangsarbeiter erstellt worden. Dies gilt auch für Rellingen. Allerdings fehlen Angaben über die Todesursache, die aber oftmals den standesamtlichen Registern zu entnehmen sind.

Obwohl seit langem bekannt war, dass während des Zweiten Weltkrieges Millionen von Menschen aus allen von der  deutschen Wehrmacht  besetzten Ländern zum „Arbeitseinsatz“ nach Deutschland verschleppt worden sind und z.T.  unter Menschen unwürdigen Bedingungen arbeiten mussten und viele z.T. sehr junge Menschen starben, kam es erst Ende der 90er Jahre zu einer Regelung, die die Überlebenden entschädigen soll.

Die Stiftung Erinnerung – Verantwortung – Zukunft (EVZ) wurde im Jahr 2000 gegründet, um vor allem Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter zu leisten. Die Auszahlungsprogramme wurden im Jahr 2007 abgeschlossen. Das Gründungskapital in Höhe von 5,2 Mrd. Euro wurde vom deutschen Staat und von der deutschen Wirtschaft aufgebracht. Davon wurden 358 Mio. Euro als Stiftungskapital für die Fördertätigkeit reserviert. Aus den Erträgen finanziert die Stiftung EVZ ihre dauerhaften Aktivitäten.

Auch hat es in den zurückliegenden Jahren eine Vielzahl von Veröffentlichungen zum Thema Zwangsarbeit gegeben. Eine kleine Auswahl soll hier angeführt werden:

  • Hungern für Hitler, rororo aktuell, Hamburg 1984
  • Verschleppt zur Sklavenarbeit,  Hg. G. Hoch u. R. Schwarz, Rendsburg 1988
  • Fremdarbeiter, Politik und Praxis des Ausländereinsatzes in der Kriegswirtschaft, U. Herbert, Bonn 1999     
  • „Ich erinnere mich nur an Tränen und Trauer…“ Zwangsarbeit in Lübeck 1939-1945,Dokumentation zur Ausstellung, Hg. Ch. Rathmer, Essen1999 
  • "Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg"  - Internationale Wander-Ausstellung vom 05.11.2015-03.04.2016 im Museum der Arbeit in Hamburg

Die Arbeitsmethode des Historikers ist es, dass er, um das Erinnern des Vergangenen möglich zu machen, Dokumente (z.B. Grabsteine) und schriftliche Zeugnisse ausfindig macht und soweit möglich, Zeitzeugen befragt, deren Zahl, sowohl der Täter wie der Opfer natürlicher Weise immer geringer wird. Erfahrung dabei ist, dass die Täter in der Regel schweigen oder sich nicht erinnern können oder sich verleugnen, während es den Opfern oft schwer fällt, über das Erlittene zu sprechen. Was ist das Ziel solcher Untersuchungen? Indem Firmen oder Einrichtungen an dem nationalsozialistischen System der Zwangsarbeit partizipierten oder davon profitierten, haben sie sich  an einem Zwangs- und Unrechtssystem beteiligt und sich so mitschuldig geworden an den zumeist jungen Menschen, denen durch  Zwang, Erniedrigung und Entmündigung Unrecht und Leid zugefügt wurden. Zwangsarbeit ist mit der Würde des Menschen unvereinbar. Auch können deren Verletzungen durch keine Entschädigungszahlungen wiedergutgemacht werden. Aber ihr Leid darf nicht vergessen werden. Es lässt sich auch nicht aufrechnen gegen selbst erlittenes Leid. Die Behauptung, bei den Verschleppungen und dem zwangsweisen Arbeitseinsatz habe es sich nicht um ein NS-Unrecht gehandelt, sondern um eine „normale“ Begleiterscheinung des Krieges, ist unrichtig, weil dies schon damals völkerrechtswidrig  und somit Unrecht war.     

Die Gründe für die Zwangsarbeit

Die Anwerbung und spätere Verschleppung von Menschen aus fast allen von der deutschen Wehrmacht besetzten Ländern Europas zum „Arbeitseinsatz“ in Deutschland hatte ihren Grund in dem spätestens seit 1936 vorbereiteten und im September 1939 dann „entfesselten“ (W. Hofer) Zweiten Weltkrieg und dem durch die totale Mobilmachung bald eintretenden unübersehbaren Arbeitskräftemangel. Seit 1941 wurden unter der Bezeichnung „Fremdarbeiter“ aus den besetzten Gebieten in Ost- und Westeuropa Arbeitskräfte – Männer, Frauen und Jugendliche ab 16 Jahren (oftmals Familien und Kinder) - in einer Gesamtzahl von mehr als 8 Millionen  zunächst angeworben, dann zwangsrekrutiert und gepresst, z.T. direkt verschleppt (Statistik August 1944/Arbeitseinsatz in Großdeutschland). Der Begriff Zwangsarbeiter wurde natürlich nicht von den Nationalsozialisten benutzt, sondern der die Tatsachen verschleiernde „Fremdarbeiter“. Unter dem heute zu Recht benutzten Begriff Zwangsarbeiter verbergen sich indes verschiedene Gruppen der zur unfreiwilligen Arbeit in Deutschland Eingesetzten:

  1. Kriegsgefangene
  2. Gefangene in Konzentrationslagern
  3. Gefangene in Zuchthäusern und Gefängnissen, die in Betrieben arbeiteten
  4.  Nach Deutschland verbrachte oder im Ausland für Deutschland arbeitende „Fremdarbeiter“, also gezwungene ausländische Arbeitskräfte. Diese wurden in „Fremdarbeiter“ Ost und West unterschieden, womit eine sehr unterschiedliche Behandlung verbunden war.

Große Unterschiede bestanden hinsichtlich der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter aus den westlichen und östlichen Ländern. Westarbeiter wurden besser ernährt, bezahlt und behandelt. Allerdings unterlagen auch sie dem Verbot der Fraternisierung mit der deutschen Bevölkerung und der allgemeinen Diskriminierung. Deutlich schlechter erging es den italienischen „Fremdarbeitern“ seit Italien 1943 an der Seite der Alliierten gegen Deutschland in den Krieg eingetreten war. Tschechische und polnische Zwangsarbeiter litten dagegen von vornherein unter massiver rassischer Diskriminierung, ihre Bezahlung und Ernährung war wesentlich schlechter und die Strafen, mit denen auch kleine Vergehen geahndet wurden, verloren jedes Maß. Von Brutalität und Verachtung geprägt waren schließlich die Arbeitsbedingungen der Mehrzahl der Ost-Arbeiter aus den Gebieten der Sowjetunion. Dies entsprach dem Rassenwahn der Nationalsozialisten.

NS- Machtpolitik und Rassenideologie

Dass die NS-Machtpolitik nicht nur die Aufhebung der „Schmach“ von Versailles (Friedensvertrag/Reparationsforderungen/Gebietsabtretungen) anstrebte, sondern weit darüber hinaus gehende Ziele hatte, war bereits in  Hitlers  „Mein Kampf“(1925 Bd.1) angekündigt. Im 11. Kapitel, betitelt „Volk und Rasse“, legt Hitler seine Gedanken zu diesem Thema dar. Der tiefste Grund für den Untergang des alten Reiches und der Geschichtsentwicklung der Völker sei das Nichterkennen des Rasseproblems. Hitler „beweist“ mit Beispielen aus dem Tierreich die Minderwertigkeit der menschlichen Bastarde. Die arische Rasse wird als die allein Kultur begründende geschildert. Hitler zieht daraus die Konsequenzen für die praktische Politik. Die Arier sollen einen Frieden schaffen, begründet durch das siegreiche Schwert eines die Welt in den Dienst einer höheren Kultur nehmenden Herrenvolkes. Deshalb habe der völkische Staat die Rasse in den Mittelpunkt des allgemeinen Lebens zu setzen und für deren Reinerhaltung zu sorgen. Dass der 1939 entfesselte Krieg Ursache und Grund für die Zwangsarbeit war, wurde bereits dargestellt. Die Rücksichtslosigkeit  und Selbstverständlichkeit, Zivilisten hierzu heranzuziehen, hängt indes mit dieser NS-Rassenideologie zusammen, letztlich auch die Art der Kriegsführung, die im Osten zu einem Vernichtungskrieg wurde.

Die Behauptung, dass es höhere und niedere Rassen gäbe und die Deutschen natürlich ganz oben an der Spitze stünden, hatte erhebliche Folgen. Diese Gedanken und Vorstellungen waren allerdings nicht neu, stammten vielmehr aus verschiedenen Quellen des 19.Jh. Um es in Kürze zu sagen: der Naturforscher Darwin hatte1859 ein Buch geschrieben „Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“. Darin beschreibt er seine Theorie, dass im Laufe der Evolution nur die Lebewesen überlebt und sich höher entwickelt hätten, die sich den Bedingungen der Umwelt am besten anpassen konnten. In Verfälschung dieser biologischen Theorie übertrugen die sog. Sozialdarwinisten Darwins Theorie auf den Menschen. Die biologisch Starken überleben, die Schwachen werden im Krieg oder Alltag ausgemerzt. Die Rede vom lebensunwerten Leben hat hier seinen Ursprung, das eben so oder so ausgemerzt werden muss. Darwin hingegen hatte sehr wohl im Blick auf den Menschen vom sittlich Besten und nicht vom biologisch Besten gesprochen.

Zugleich erschienen verschiedene Bücher, die die Überlegenheit der weißen Rasse meinten wissenschaftlich beweisen zu können. Natürlich waren deren Verfasser Weiße  wie de Gobineau u.a. (vgl. P. von zur Mühlen, Rassenideologien, Berlin 1977; G.L. Mosse, Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt 1990). Deren Thesen wurde auch von Judengegnern übernommen, die nun ihrerseits meinten, ihren Judenhass wissenschaftlich begründen zu können (der bisher im Wesentlichen religiös begründet worden war: „das von Gott verworfene Volk“) und die Juden zu einer Rasse zu machen, was wissenschaftlich völlig unsinnig ist. In dieser Weise wurde das Wissen um die Verschiedenartigkeit der menschlichen Rassen zu einer Verschiedenwertigkeit der Rassen umgedeutet. Man redete von höheren Kultur tragenden Rassen, die zum Herrschen berufen seien, und von niedrigen, allein zur Knechtschaft tauglichen, Kultur zerstörenden Rassen. In diesem Katalog rangierten die sog. Arier, die Nordgermanen, an oberster Stelle, am Ende standen die „Neger“, Indianer und Juden, danach folgten die Tiere. Rasse war eine Eigenschaft des Blutes. Daher rührt der ganze Blutkult und die Rede vom deutschen Blut: wissenschaftlicher Unsinn. Gedanken, niedere Rassen zu unterdrücken oder gar auszurotten, finden sich ebenfalls schon in Schriften am Ende des 19.Jh.

Auf diesem pseudowissenschaftlichen Konglomerat von Rassenlehre und Sozialdarwinismus basiert die NS-Rassenideologie, die das Gedankengut Hitlers bestimmte. Ihre Absicht war es, die Überlegenheit des deutschen Volkes als Herrenvolk zu beweisen als Kern der nordisch-germanischen Menschenrasse, der Arier, wie man sie nannte. Dieser Rassenwahn hatte konkrete schreckliche Folgen:

  1. Vorschriften zur Rassenhygiene (Nürnberger Gesetze vom 15.9.1935) Erbringung des Arier Nachweises.
  2. Sterilisation, Kastration und schließlich Euthanasie (Ermordung der Lebensunwerten), Aufzucht einer angeblichen Elite (Aktion Lebensborn). Versuche an Menschen aus den „niederen“ Rassen durch SS-Ärzte.
  3. Während die Völker des Westens von der NS-Propaganda wohl oder übel als von der nordischen Rassen abstammend bezeichnet wurden, werden sie gleichzeitig als dekadent und überaltert oder in Anarchie versinkend beschrieben. Die Völker des Ostens hingegen werden als barbarisch, kulturunfähig und Material zum Beherrscht werden abgetan. Im Blick auf die Zwangsarbeiter hatte dies konkrete Auswirkungen, auf die schon hingewiesen wurde. Sie mussten das Zeichen „Ost“ oder „P“ sichtbar auf ihrer Kleidung tragen.
  4. Die Juden  schließlich waren als Parasiten der Menschheit die unterste Rasse, die für alles Unheil verantwortlich gemacht wurden. Sie sollten ausgegrenzt werden (Nürnberger Gesetze), Verbot der Rasenschande, schließlich ausgemerzt und vernichtet werden (Wannseekonferenz 20.1.1942). Sie leitete den letzten Exzess der furchtbaren Menschen verachtenden Rassenlehre ein.

Die Menschen verachtende Einstellung der NS-Rassenideologie „Fremdvölkischen“ gegenüber kommt in einer Ansprache von Himmler (Reichsführer SS) vor SS-Führern 1943 in Posen zum Ausdruck: „…Wie es den Russen geht, wie den Tschechen ist mir total gleichgültig…ob die andern Völker im Wohlstand leben oder ob sie verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur insoweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur brauchen… Ob beim Bau eines Panzergrabens zehntausend russische Weiber umfallen, interessiert mich nur insoweit, als der Panzergraben für Deutschland fertig wird“.

Die Zustimmung zu Hitler

Das konkrete Verhalten der Bevölkerung im Allgemeinen und der die Zwangsarbeiter Beschäftigenden war geprägt durch den Grad ihrer Zustimmung zu Hitler und seiner Politik. Diese spiegelte sich im Wahlverhalten der Bevölkerung, wenn auch die Motive für die Wahlentscheidung sicher unterschiedlich waren und nicht unbedingt der Zustimmung zur Rassenideologie entsprechen mussten. Doch diese und deren Folgen wählte man mit. Hitler ist schließlich durch Wahlen an die Macht gekommen und insoweit legitim. Das ist eine der Hypotheken der deutschen Geschichte.

Im Blick auf die Rassenideologie ist zu sagen, dass sie, wenn man sie vielleicht auch für unsinnig hielt, doch der deutschen Seele gut tat, die so tief im Ersten Weltkrieg gedemütigt worden war. Wir sind wieder wer. Das hatte man Hitler zu verdanken. Auch, dass man auf andere Völker herabschaute, hatte Tradition: die Polacken, polnische Wirtschaft oder die Neger, wie man grundsätzlich die Afrikaner nannte mit dem Unterton, unzivilisierte unterentwickelt Wilde, ein Vorurteil über die Völker Afrikas, das bis heute im Untergrund noch lebendig ist. Solche Vorstellungen untermauerten die NS-Rassenhierarchie. Auch die Nationalhymne, die ursprünglich eine glühende Verehrung des Vaterlandes ausdrückte, eine Art Liebeserklärung war, bekam nun einen ganz anderen Ton, eben den, „am deutschen Wesen  soll die Welt genesen“. Wir Deutschen sind eben doch tüchtiger als alle anderen. Grund genug, dass die erste Strophe nicht mehr zur deutschen Nationalhymne gehört.

Zwangsarbeit

Tabelle I Quelle Rellinger Chronik

Die Wahlergebnisse sind insoweit für die Zustimmung für Hitler aufschlussreich. Dabei ist zu bedenken, dass man nur bis zur Wahl im März 1933 von Wahlen reden kann, obwohl der NS-Terror schon zuvor beachtlich war. Danach – die meisten der anderen Parteien waren verboten oder gleichgeschaltet – gab es bei Wahlen eine Art Volkszählung mit 99% der abgegebenen Stimmen für Hitler wie später auch in der DDR.

Bemerkenswert ist  das Anwachsen des Stimmanteils der NSDAP in Rellingen von 7,7% 1928 auf bereits 62,5% 1932,  gleich bleibend 1933.  In Egenbüttel, das seit (1974) zu Rellingen gehört, beträgt der Stimmanteil der NSDAP 5,4% 1928, 43,5% 1932 und 66,7% 1933 (vgl. dazu im Reich 2,6% 1928 / 37,2% 1932 / 43,9% 1933). Die bürgerlichen Parteien schrumpfen hingegen im gleichen Zeitraum von 55,5% 1928 auf 25,5% 1933, ebenso die SPD von 29,4% auf 19,6%. Allein die DKP hält ihren Stimmanteil etwa konstant bei 7,7 % und 7,2%. Dieses Wahlverhalten entsprachen dem in vielen anderen Wahlkreisen Schleswig Holsteins; so stieg etwa der Stimmenanteil der NSDAP im Kreis Pinneberg im oben genannten Zeitraum von 5,7% auf 52,6 % an.

Zahlen der Zwangsarbeiter/innen und Betriebe, die diese beschäftigten, in Rellingen und Egenbüttel

1. Zahlen 

Zwangsarbeiter

Tabelle II Lager mit Zwangsarbeitern in Rellingen

Die Zahlen der Zwangsarbeiter differieren in den beiden Grafiken zwischen ca. 350 und 450. Sie stammen überwiegend aus Polen und Russland, aber auch Franzosen, Belgier, Dänen, Holländer, Ukrainer und Bulgaren sind darunter. Eine Sondergruppe sind 21 französische Kriegsgefangene (Kdo 362), die, vermutlich in einem bewachten Gefangenenlager untergebracht, ebenso wie die meisten der Zwangsarbeiter in einem Baumschulbetrieb eingesetzt waren. Man wird also davon ausgehen können, dass von 1940-45  zwischen 300 und 400 Zwangsarbeiter/innen in Bereich des heutigen Rellingen zum Einsatz gekommen sind, dazu gehörten auch Jugendliche und Kinder.

QuickbornGastw. Schmidt, auch Kgf.versch. Nat.+23
Eulenkruginsg. 197versch. Nat.23
RellingenTangstedter Chaussee 2421SU, PL+3
Altonaer Straße 35, H. Heubel21PL, F, Bul.3
Hempbergstraße 36, A. Lüdemann10PL3
Wachtelstraße 27, G. Lüdemann90PL23
Hauptstr. 98, C. Maaß41versch. Nat.3
Ellerbeker Weg 41, H. Neuhoff9PL3
Altonaer Straße 79, Ostermann21PL3
Lohe 13, Nic. Schröder14PL3
Eichenstraße 2, H. Stoldt9PL3
Altonaer Straße 223, Tietjen & Söhne8PL, SU3
Ehmschen 33, J. Rechter8PL3
Altonaer Straße 217, S. Hermansen30SU, PL3
Tangstedter Chaussee 112, R. Schrader80SU, PL23
Altonaer Str. 261, Gebr. Sorge14PL3
Tangstedter Chaussee 166, E. Schmidt18PL u.a.3
Ehmschen602
Kdo 362Bs 21F1

Tabelle III Betriebe in Rellingen und Quickborn (Quelle: G. Hoch a.a.O)

Den von der Rellinger Friedhofsverwaltung 1949 im Auftrag der britischen Militärregierung angefertigten Gräberlisten ist zu entnehmen, dass auf dem Friedhof insgesamt  42 „Kriegsgräber nichtdeutscher Staatsangehöriger“ vorhanden waren. Auffällig ist, dass der von den NS benutzte Begriff „Fremdarbeiter“ vermieden wird, aber ebenso Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, um die es sich tatsächlich handelte.

Auffällig ist ferner, es handelt sich bei dort Beigesetzten um:

3  tot geborene Kinder

6  Kinder im Alter von 9 - 56 Tagen

3  Kinder im Alter von 2 – 12 Monaten

5  Kinder im Alter von 2 – 4 Jahren

17 jüngere Erwachsene im Alter von 17 – 30 Jahren

14 Erwachsene im Alter von 35 – 100 Jahren

10 der Beigesetzten wurden in Rellingen standesamtlich registriert. Die dort eingetragenen Todesursachen sind: Totgeburt, Lungenentzündung, Tod durch Bombenabwurf, verstorben im Hilfskrankenhaus Rellingen, durch schwere Verbrennungen und o.A. Die übrigen Beigesetzten sind vermutlich in den für ihren Aufenthalt zuständigen Ämtern registriert worden.

Wie es den in Rellingen arbeitenden Zwangsarbeiter im Einzelnen ergangen ist, lässt sich den Unterlagen nicht entnehmen. Es wird, wie bereits vermutet, auf die politische Einstellung des jeweiligen Arbeitgebers angekommen sein, wie weit dieser die NS-Rassenideologie verinnerlicht hatte oder sich über bestimmte Anweisungen hinweggesetzt hat. In manchen Fällen hat es sogar (verbotene!) freundschaftliche Beziehungen gegeben, die sich nach dem Krieg fortgesetzt haben. Ingesamt war die eingeschränkte Bewegungsfreiheit, die oft schlechte Ernährungssituation und Kleidung und die ungenügende ärztliche Versorgung Grund für den frühen Tod vor allem der Kinder, aber auch jüngerer Erwachsener. Auffällig ist aber auch das z.T. hohe Alter der „verschleppten“ Zwangsarbeiter.

Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein dargestellt am Beispiel Lübeck

Wie Menschen die Zeit ihrer Zwangsarbeit in Deutschland erlebt haben, wissen wir von Zeitzeugen und Betroffenen. Ich möchte im Folgenden auf die Lübecker Untersuchung eingehen. Rund 20Tausend Zwangsarbeiter waren in Lübeck eingesetzt. Nachdem die Bürgerschaft von Lübeck 1994 den Auftrag zur Aufarbeitung der Lübecker Vergangenheit im Blick auf den Einsatz der Zwangsarbeiter erteilt hatte, wurden rd. 1100 ehemalige Ostarbeiter angeschrieben und mit einem Fragebogen gezielt nach ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen befragt. Es gab rd. 400 Rückmeldungen. Deren Auswertung ergänzt durch eine Dokumentation führte 1997/8 zu einer öffentlichen Ausstellung mit dem Titel: “Ich erinnere mich nur an Tränen und Trauer…“ Zwangsarbeit in Lübeck 1939 bis 1945. Einige haben vergleichsweise positive Erlebnisse gehabt, für andere war der Arbeitseinsatz eine Hölle.

Anwerbung und Deportation

Zitat: Katalog S. 34: „Nur die wenigsten Menschen kamen freiwillig zum Arbeitseinsatz ins deutsche Reich. In den besetzten Gebieten wurden zur Rekrutierung von Arbeitskräften verschiedenste Praktiken angewandt. Auf der einen Seite machten die deutschen Truppen während der Eroberungsfeldzüge vor allem in Polen, Frankreich und der Sowjetunion Millionen Kriegsgefangene. Auf der anderen Seite hob man in den besetzten Gebieten ein Millionenheer von Zivilpersonen aus.“ Zitat. (Nikolaj Strecha,1924 aus Weißrussland) „Ich wurde im Oktober 1942 mit Gewalt aus meinem Dorf nach Deutschland zur Zwangsarbeit gebracht. Es wurden 200 Leute aus unserem Dorf mitgenommen. Anhand einer Liste. Es wurde ein Befehl vorgelesen, in dem es hieß, wer nicht fährt – sich also versteckt -, dessen Familie wird erschossen.“ Die Masse der vornehmlich minderjährigen „zivilen Zwangsarbeiter“ kam aus Osteuropa und wurde gewaltsam ihrer Heimat und ihren Familien entrissen. Nur mit dem, was sie gerade am Leibe hatten, wurden sie in verschlossene Güterwagons gepfercht und voller Heimweh und Schmerz einer ungewissen Zukunft zugeführt. Die Transporte waren oft wochenlang durch Russland und Polen unterwegs. Während dieser „Reise“ wurden die Gefangenen nur selten mit Lebensmitteln versorgt. An der Grenze zu Polen, in Grajewo, fanden „Entlausungsaktionen“ statt. Dann wurden sie nach Deutschland weitergeleitet und an ihre Bestimmungsorte verteilt.

In Lübeck angekommen, wurden die verschleppten Menschen bereits auf dem Bahnsteig wie auf einem Sklavenmarkt begutachtet  und verteilt. Hier entschied sich ihr weiteres Schicksal. Die Arbeitgeber hatten einen Ermessensspielraum, wie genau sie die Bestimmungen auslegen wollten, die das Leben der Zwangsarbeiter/innen reglementierten. Ihre Lebensumstände hingen von der Willkür der Vorgesetzten und der Lagerleitung ab. Zitat: (Zinaida Krawtschuk, 1925 Weißrussland) „In Lübeck wurde ich in eine Rüstungsfabrik gebracht, wo die Meister uns auf die einzelnen Werkstätten verteilten. Ich wurde in die Werkstatt eingeteilt, in der Einzelteile von Gasmasken hergestellt wurden. Bei dieser Arbeit habe ich zwei Finger der rechten Hand verloren.“

Unterbringung

Der weitaus größte Teil der ausländischen Arbeitskräfte wurde in den großen Industriebetrieben am Rande der Stadt eingesetzt. Untergebracht wurden sie in der Regel in großen Barackenlagern nahe der Fabriken. Diese waren eingezäunte, abgelegene Areale, in denen die Insassen unter Bewachung auf engstem Raum leben mussten. Die „Ostarbeiter“  wurden dabei von den übrigen Ausländern rigoros getrennt. Zitat: (Iosif Poznjak, 1932 Weißrussland) „Wir wohnten in einer Baracke, die von Wachmännern bewacht wurde. Morgens um 6 Uhr wurden alle, die älter als 10 Jahre waren, geweckt, wer nicht gleich aufstand, wurde mit dem Stock geschlagen. Danach wurden alle zum Zug gebracht zur Arbeit, die Rüstungsfabrik befand sich 8 Kilometer von der Stadt entfernt. In der Fabrik gab es häufig Unfälle und viele Menschen starben. Ich war noch keine 10 Jahre alt, ich habe auf dem Lagergelände geputzt. Sie haben uns wie Tiere behandelt.“ Zitat: Raisa Kalitina, 1924 Ukraine) „Wir wurden ins Lager Brandenbaum gebracht. Hölzerne Baracken mit Stockbetten (2 Etagen), Pritschen, strohgefüllte Kopfkissen und Matratzen. Für 28 Menschen in einem Zimmer gab es eine Toilette, ein Waschbecken, einen eisernen Ofen, der mit Kohle befeuert wurde. Wir erhielten einen Eimer Kohle pro Tag.“

Ernährung und Kleidung

Für die Menschen aus der damaligen Sowjetunion war die Ernährung völlig unzureichend. Während die französischen Kriegsgefangenen Hilfslieferungen vom Internationalen Roten Kreuz erhielten, waren die Polen und Ostarbeiter auf Päckchen aus der Heimat angewiesen. Ein heimlich an den Arbeitsplatz gelegtes Brot eines deutschen Kollegen linderte den größten Hunger. Für viele gehörte Mundraub zum Überlebenskampf. Wurde einer erwischt, bedeutete das Einweisung in ein KZ; für Polen und Russen nicht selten das Ende am Galgen. Zitat: (Rellinger Chronik S.185) „Gegen Ende des Jahres 1944 stand eine junge Rellinger Frau vor dem Kieler Sondergericht, die Verhandlung fand in Neumünster statt. Ihr wurde „Wehrkraftzersetzung“ vorgeworfen. Sie hatte einer jungen Polin in der durch Rellingen ziehenden Zwangsarbeiterinnenkolonne ein Stück Brot zugesteckt. Und das konnte die härteste Strafe nach sich ziehen. Heraus gekommen war die Sache durch eine entfernte Bekannte. Die Neumünsteraner Verhandlung musste wegen Fliegeralarms unterbrochen  und abgesetzt werden. Das Verfahren wurde im Dezember 1944 in Pinneberg neu aufgenommen. Das endgültige Urteil lautete dann auf neun Monate Gefängnis, und damit war die junge Frau, Mutter zweier kleiner Kinder, noch gut davongekommen.“ Zitat: (Anna Slowewa, 1924 Ukraine) “Wir lebten dort vom 1.August1942 bis zum 2.Mai 1945. Wir hatten im Zimmer einen 8 l - Kessel für Kaffee. Jeden Morgen lief eine von uns durch die Zimmer, um Kaffee zu verteilen, natürlich keinen richtigen Kaffee, sondern irgendeinen Ersatz. Zweimal in der Woche haben wir einen Laib Brot bekommen. Montags und donnerstags. Zuerst haben wir uns das Brot noch eingeteilt, damit wir jeden Tag etwas haben, aber dann haben wir immer alles auf einmal aufgegessen, weil wir uns nicht mehr zusammenreißen konnten. Das Brot bestand zur Hälfte aus Sägespänen… Wir waren alle sehr abgemagert und sahen aus wie Skelette. So ging es 32 Monate.“ Die Winter waren wegen der ungenügenden Bekleidung besonders hart. Bei ihrer Ergreifung in den Heimatländern konnten die meisten kaum das Nötigste zusammenraffen. Die Betriebe versorgten sie völlig unzureichend. Lebenslange gesundheitliche Schäden waren die Folge.

Gesundheit und Hygiene

Nach ihrer Ankunft in Lübeck wurden alle Ausländer „entlaust“. Auch in den größeren Betrieben gab es provisorische Entlausungsanlagen. Da die Waschgelegenheiten in den Lagern meist in katastrophalem Zustand waren und nicht ausreichend vorhanden, litten viele der ausländischen Arbeitskräfte an Krankheiten. Auch die Toiletten waren häufig in einem schrecklichen Zustand. Eine nennenswerte Krankenversorgung fand nicht statt. Zitat: (Antonina Welitschko, 1925 Weißrussland) „Medizinische Versorgung gab es nicht. Nur wenn jemand am Arbeitsplatz umfiel, wirklich erst dann, wurde er ins Krankenhaus gebracht. Die Verhältnisse waren äußerst unhygienisch. Unter Bewachung wurden wir zum Baden gebracht. Es wurde eine Desinfektion durchgeführt. Man hat meinen Kopf mit so einem ekelhaften Zeug beschmiert, dass ich bis heute keine Haare mehr habe.“

Schwangerschaften

Hunderte von Russinnen und Polinnen wurden in Lübecker Lagern schwanger. Ab Jahreswende 1942/43 wurden sie nicht mehr in die Heimat entlassen. 355 Geburten ausländischer Kinder wurden danach in Lübeck standesamtlich registriert. Als die britische Militärregierung im Mai 1945 nach dem Verbleib dieser Kinder nachforschte, wurde bekannt, dass in der M f M (Maschinenfabrik für Massenverpackung) eine Entbindungsanstalt eingerichtet worden war. Die Kinder wurden anschließend zum großen Teil in einer von der DWM (Deutsche Waffen und Munitionsfabriken) auf ministeriale Weisung reichsweit eingerichteten „Ausländerkinderpflegestätte“ untergebracht. Die hohe Zahl der dort registrierten Todesfälle von Keinstkindern, wie aus Niedersachsen bekannt ist, bestärkt die Vermutung, dass die Kinder mangels ausreichender Betreuung dahin siechten. Die Suche von Müttern in der Nachkriegszeit nach dem Verbleib ihrer Kinder blieb häufig ergebnislos.

Arbeitslohn

„Fremdarbeiter“ wurden offiziell nach Tarif bezahlt. Nach Aussagen vieler Zwangsarbeiter sah das tatsächlich oft anders aus. Durch Sonderabgaben und Lohnabzüge aufgrund von “Verfehlungen“ fielen die Löhne sehr gering aus.

Durchschnittlicher Monatslohn: RM 167,00

Abzug Ostarbeiterabgabe:        RM   76,50

Abzug Verpflegungssatz:           RM   45,00

Es verbleibt für einen sowjetischen______   

Zwangsarbeiter                         RM    45,50

Darüber hinaus wurden noch Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge einbehalten. Die Betroffenen machen noch andere Angaben. Zitat: (Eva Grabinskaja, 1926 Weißrussland) „Wir arbeiteten regelmäßig 10 Stunden pro Tag. Von 6.00 bis 16.00 Uhr. Samstags haben wir bis mittags gearbeitet und sonntags war frei. Sonntags jedoch kam ein Bauer und nahm uns mit zur Erntearbeit. Urlaub hatten wir nicht. Das erste Jahr durften wir nirgendwo hin, später erhielten wir Ausgangsscheine und konnten sonntags in der Stadt spazieren gehen. Wir haben Briefe geschrieben und erhielten Antwort. Wir haben monatlich ungefähr 20 Mark Lohn erhalten, hierfür haben wir Kohl und rote Beete gekauft (Drägerwerk).

Todesursachen

Mit Polen und „Ostarbeitern“, für die eine besondere Strafprozessordnung galt, wurde wegen geringster Vergehen sogleich „kurzer Prozess“ gemacht. Auf dem Gelände des Sandberglagers sowie des Lagers Finkenberg haben solche Exekutionen ausländischer Zwangsarbeiter stattgefunden. Öffentliche Bekanntmachungen des Sondergerichts in Kiel von Hinrichtungen z.B. wegen Diebstahl von Lebensmitteln sind  dokumentiert. Allerdings macht die offensichtliche Ermordung von Zwangsarbeitern nur den geringsten Teil der zu Hunderten an Misshandlungen, Unterernährung und Krankheiten verstorbenen Menschen aus. Die mangelnde Ernährung, die völlig unhygienischen Verhältnisse und nicht zuletzt erschöpfenden Arbeit hatten für viele der verschleppten Menschen den Tod zur Folge. Nachweislich starben  von 1939 bis 1945 1450 Ausländer in Lübeck. Als stereotype Erklärung der Todesursache wurde „Allgemeine Herz- und Kreislaufschwäche“ angegeben und das bei jungen durchschnittlich 20jährigen Menschen. Daneben kamen zahlreiche Zwangsarbeiter bei Unfällen und Explosionen in den Munitionsfabriken ums Leben oder bei  Bombenangriffen, weil für sie zumeist völlig unzureichende Luftschutzbedingungen bestanden. Seit 1943 wurden die verstorbenen Zwangsarbeiter auf Veranlassung der Kreisleitung der NSDAP nicht mehr auf kirchlichen Friedhöfen beerdigt, sondern mehr als 800 von ihnen auf einer abseits gelegenen Stelle des Vorwerker Friedhofes. Leichen russischer Kriegsgefangener wurden ab diesem Zeitpunkt an das anatomische Institut Kiel überwiesen. Eine große Zahl von Ausländern, die an die Gestapo und Sondergerichte überwiesen wurden, sind nach ihrer Hinrichtung nicht in Lübeck beerdigt worden.

Schlussbemerkung

Die Situation der Zwangsarbeiter in Lübeck im Vergleich zu denen in Rellingen unterschied sich vor allem dadurch, dass die ersteren überwiegend in  der Rüstungsindustrie und die anderen überwiegend in Baumschulbetrieben eingesetzt waren. Aber  beide Gruppen hatten schwere körperliche Arbeit zu verrichten, wobei die Behandlung jeweils sehr verschieden gewesen sein mag. Die Behauptung, dass es sich bei der Zwangsarbeit um eine normale „Begleiterscheinung“ des Krieges gehandelt habe, ist unrichtig, da die Verschleppung von Zivilisten, ihre rassistische Behandlung und ihr Einsatz u.a. in der Rüstungsproduktion völkerrechtswidrig war. Deshalb ist das Erinnern an das geschehene Unrecht und die Verstrickung darin ein wesentlicher Beitrag zum Kampf gegen Fremdenfeindschaft und Rassismus als Lehre aus der jüngsten deutschen Geschichte.

Erich Rüppel